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AutorenbildHelmuth Lauscher

Bilanz ziehen

Die Zeit um Jahrestage herum nutzt Mensch ja gerne, um zwischendurch mal wieder zurück zu blicken auf sein Leben, um Freude und Frust, das Glück, das Gehtso und alles andere abzuwägen und zu rekapitulieren. Zwei Jahre, einen Monat und drei Tage, nachdem ich meinen letzten Hausschlüssel abgegeben habe, mache ich nun genau das, im vorliegenden Fall ausschließlich mein Leben im Wohnmobil betreffend, denn ein anderes gibt es (zumindest bis auf weiteres) nicht mehr.


Mein Wohnmobil MANgo und ich


Was hat diese Zeit mit mir gemacht, welche Eindrücke überwiegen und wie geht es weiter?

Die betreffende Zeit begann am 01. Oktober 2020, nach fast 18 Monaten Bauzeit an meinem LKW. Ich war ja beileibe kein „Frischling“ mehr, als ich mir MANgo, meinen MAN Möbelwagen im April 2019 im zarten Alter von 61 Jahren anlachte. Mit fast 63 Jahren löste ich schließlich meinen Haushalt auf, nachdem aus dem Möbelwagen mit dem Segen des TÜV ein „Häuschen auf Rädern“ geworden war und mein Entschluss feststand: Ich habe in diesem Fahrzeug alles, was ich absehbar brauche. Punkt.


Nun kann sich jede*r mit funktionierendem Kurzzeitgedächtnis ausmalen, wie der Start verlief: Nach zwei Kurztrips in Süddeutschland kam das Pandemie-Szenario inklusive hartem Lockdown mit Beherbergungsverbot und geschlossenen Camping- und Stellplätzen bzw. Grenzen. Schon war ich wieder überwiegend in einem Steinhaus gelandet, um die betreffende Zeit dort auszusitzen, nur gelegentlich gab es die Möglichkeit, für kurze Zeiträume am eigentlich geplanten Leben zu schnuppern.

Das wurde ab Mai/ Juni 2021 zum Glück besser und mittlerweile würde ich sagen, dass aus dem Schnuppern ordentlich „Stallgeruch“ in der Nase wurde. Steinhäuser habe ich seither nur noch von innen gesehen, um Einladungen zu folgen oder um z.B. hier und da bei Renovierungen zu helfen.

Zwei größere Reisen mit MANgo liegen zwischenzeitlich hinter mir: Im vergangenen Sommer nach Skandinavien und in diesem Jahr durch Belgien, Frankreich und Nordspanien. In den Zeiten zwischen den Reisen (auch im letzten Winter) habe ich mich fast ausschließlich in Baden Württemberg bewegt, aus dem vollmobilen Reisemobil wurde und wird dann jeweils mehr ein sporadisch mobiles Wohnmobil mit Betonung auf Wohnen.


Ich genieße die Zeiten des Reisens und die Zeiten des mehr Wohnens in MANgo gleichermaßen. Natürlich gibt es im Gegensatz zu einem Dasein als „Steinhausender“ immer und überall die Notwendigkeit, sich zu kümmern: Um einen Platz zum Ausruhen/Übernachten, um Frischwasser, Gas, eine Waschmöglichkeit, die Entsorgung oder ggf. auch Strom. Oder wie zuletzt in Frankreich sogar um Kraftstoff. Auf Reisen ist es aber immer die Fülle an Eindrücken, in meinem Fall an Fotomotiven oder auch an Begegnungen, die dieses Kümmern überkompensieren. Das rückt mehr in den Vordergrund, wenn man nicht so viel unterwegs ist. Überhaupt ist man deutlich mehr mit sich selbst konfrontiert, besonders als allein Lebender/Reisender, und das auch noch ohne TV... Man hat viel Zeit zum Nachdenken, immer wieder wechselnde Umgebungen zu erkunden und auf sich wirken zu lassen bzw. neue Wege zu planen und gespannt zu sein. Ich mag diese Möglichkeiten.


Mein Bekanntenkreis hat sich verändert. Als meine Absichten offenkundig wurden, habe ich sicher ähnliche Reaktionen erlebt wie ganz viele andere in solch einer Situation: Es gab neugieriges Unverständnis genauso wie echtes Interesse bis hin zu freundlichem Neid. Es gab auch Ängstliche, die mein Tun als bedenklich leichtsinnig einstuften, offen abgewandt hat sich aber niemand. Im Gegenteil: Nach und nach kamen auch neue Bekannte hinzu und ich hoffe, dass sich weiterhin neue Kontakte zu netten Menschen ergeben. Ein anderes Thema ist es, den Kontakt zu Herzens- Menschen so aufrecht zu erhalten, dass wenigstens näherungsweise so etwas wie eine gegenseitige Teilhabe am Alltag stattfindet. Das erfordert stabile Beziehungen, die Bereitschaft zu Kompromissen und letztlich auch immer wieder schmerzlichen Verzicht.


Mit dem Gefühl der Sicherheit habe ich unterschiedliche Erfahrungen gemacht: Klar, am Anfang war alles neu und der erste stockfinstere Platz im Wald ohne Handynetz etwas mulmig. Das mulmige Gefühl bei solchen Gelegenheiten verschwand aber schnell. Eine richtig doofe Erfahrung durfte ich auf einem offiziellen Stellplatz (in D) machen, wo morgens um drei einer um das Fahrzeug schlich und mit einer starken Taschenlampe versuchte, durch jeden möglichen Spalt nach innen zu leuchten. Ich konnte den Versuch aber zum Glück im Keim ersticken, indem ich der betreffenden Person durch ein offenes Fenster mit unmissverständlichen Worten in entsprechender Lautstärke klar machte, was ich von der Sache hielt. Der Mensch verdrückte sich dann zwar eilig in die Dunkelheit, das Ganze war trotzdem blöd. Eine andere Erfahrung aus der Kategorie „na ja“ gab es in Frankreich, wo sich eine Horde junger Leute mit mehreren PKW neben mir versammelte und bei ätzender Lautstärke die Wodkaflaschen, Tüten und Nunchakus kreisen ließ. Den Platz habe ich dann einfach verlassen und mir was ruhigeres gesucht. Ansonsten bisher - toitoitoi – keine weiteren ernsthaften Probleme.


Reparaturen gibt es – verglichen mit Steinhaus – im Wohnmobil auch. Nur anders. Und gefühlt weniger. Denn die Reparaturen an den Fahrzeugen, die man ja zu Steinhaus-Zeiten auch noch hat, kommen zu den Steinhaus-Inventar-Reparaturen ggf. dazu. Mein Reparaturaufkommen in den letzten zwei Jahren im Wohnmobil ist überschaubar: Am Fahrzeug ein Anlasser und ein Achsnaben-Dichtring, zuzüglich jährlicher TÜV-Gebühren, weil MANgo ja ein 7,5-Tonner ist. Das ganze technische Innenleben im Aufbau funktioniert unverändert wie am ersten Tag, mit Ausnahme meiner Wasserfilter-Kartuschen, die während der Standzeit im ersten Winter bei unerwartet strengem Frost platzten. Im Laufe der Zeit habe ich inzwischen ein ganz gutes Gespür dafür entwickelt, wann ich Wasser/ Gas tanken oder entsorgen muss, ohne auf die zusätzlich vorhandenen Kontrollinstrumente zu schauen. Nur beim Strom wurde ich jetzt erst letztens wieder von leeren Versorgerbatterien erwischt, weil ich mich – Dank Solar - eigentlich von April bis Oktober überhaupt nicht darum kümmern muss und dann nicht dran denke, dass die Sonnenkurve nun wieder flacher verläuft, die Sonnenstunden weniger und die Wolken mehr werden.


Würde ich etwas anders machen?

Die Grundsatzentscheidung betreffend: Nein, ich würde mein derzeitiges Leben vorläufig nicht grundlegend ändern wollen.

Die Fahrzeugauswahl betreffend: Nein, ich genieße das Platzangebot inklusive hohem Autarkiegrad und nehme die geringere Fahrgeschwindigkeit sehr gerne in Kauf.

Die Inneneinrichtung: Vielleicht, in Details. Aber nur vielleicht.


Gibt es Überlegungen für die Zukunft?

Ja, natürlich. Irgendwann wird diese Lebensphase vorüber sein, alles hat seine Zeit. Ich hoffe aber, sie dauert noch lang, bleibt so schön und mir fällt zwischendurch eine gute Lösung für „danach“ ein.


Mache ich mir mehr Sorgen als früher?

Nicht mehr, eher andere. Vor allem sind es zwei Szenarien, die ich nicht erleben möchte:

- Ein Ereignis wie z.B. ein Unfall, bei dem MANgo irreparabel beschädigt wird. Sollte das passieren, stehe ich ohne Wohnung da. Das ist in der heutigen Zeit und angesichts der Preise, die für Wohnraum aufgerufen werden, keine lustige Angelegenheit. Von der kurzfristigen Verfügbarkeit von Wohnraum ganz zu schweigen.

- Ernsthaft krank werden, allein unterwegs. Das ist ebenso unlustig, vor allem, wenn man nicht mehr in der Lage ist, das Fahrzeug zu bewegen oder zu den Öffis zu kommen. Ich weiß, wovon ich spreche: 2018 lag ich in Marokko zwei Tage quasi im Koma. Ohne Begleitung hätte ich damals wirklich ganz alt ausgesehen.


Ich denke, solcher Risiken muss man sich einfach bewusst sein, Krankheit oder ein Unfall können jede*n jederzeit unverhofft treffen.

Ich lasse mich aber nicht von entsprechenden Ängsten leiten, denn ansonsten überwiegen die Freude und die spannenden Perspektiven das Sorgenlevel ganz deutlich, möge es so bleiben.


Drückt mir die Daumen.



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