Geisterdörfer und ein versunkenes Thermalbad
- Helmuth Lauscher
- 14. Sept. 2022
- 2 Min. Lesezeit
Ich hatte im Vorfeld viel über verlassene Dörfer in Nordspanien gelesen und war neugierig geworden. Deshalb hatte ich mir vorab zwei dieser Dörfer als Ziele vorgenommen, war als erstes dann aber in einem, das ich gar nicht auf dem Radar hatte.

Auf dem Weg Richtung Pyrenäen befuhr ich eine alte Landstraße in der Nähe des Aragon-Flusses, als auf einer kleinen Bergkuppe vor mir ein Kirchturm, umgeben von eingestürzten Hausdächern auftauchte: Das (ehemalige) Dorf Tiermas. Es verdankt seinen Namen der am früheren Fuß der Bergkuppe gelegenen heißen Quelle mit uraltem Thermalbad, das aber Ende der 1950er Jahre zu Gunsten des dort entstandenen Yesa-Stausees „geopfert“ wurde.
Sinkt nun aus irgendeinem Grund der Wasserpegel des Stausees deutlich, tauchen das besagte Thermalbad oder vielmehr dessen Ruinen wieder auf. Als ich dort war, erlebte ich die für mich krasseste Erfahrung: Der Wasserspiegel des Sees war so tief, dass die heiße Quelle und die alten Badebecken wieder zum Vorschein kamen. Und die Quelle sprudelte. Es roch sehr schweflig und viele Menschen vor allem aus der Umgebung lagen bei schönstem Wetter in dem deutlich über 30 Grad warmen Wasser und rieben sich die Haut mit schwefelhaltigen Schlamm ein.
Das muss ich ausprobieren, dachte ich. Am nächsten Morgen nieselte es leider, nichtsdestotrotz fand ich mich dort im Wasser gemeinsam mit fünf anderen Bekloppten wieder – und es war herrlich. Meine Haut fühlte sich hinterher – leider nicht lange – an wie ein Babypopo.
Aber zurück zu den verlassenen Dörfern: Es ist vermutlich die allgemeine Landflucht, das karge Leben und/oder fehlende Einnahmequellen, die diese Orte im Laufe der Zeit ausbluten liessen. Die Stimmung in Tiermas und in Esco, dem zweiten Dorf, ist schwer zu beschreiben. Mir war nicht mulmig oder so, aber ich konnte die zugewachsenen alten Wege zwischen den Häuserresten nicht gehen, ohne ständig Bilder vom früheren Alltag dort, von spielenden Kindern, dem Plausch zwischen Nachbarn über das Wetter, die letzte Predigt des Pfarrers oder Diskussionen am Stammtisch vor Augen zu haben.
Und ich hatte noch ein ganz ungewöhnliches Erlebnis: In dem Trümmerfeld aus vielleicht ehemals vierzig Häusern mit Kirche namens Esco gelangte ich an ein Haus, das im Gegensatz zu wirklich allen anderen noch vier halbwegs intakte Außenwände, ein Dach und uralte Fenster hatte. Und aus dem Inneren tönte ein Radio oder Fernseher. Offenbar harrt hier jemand aus und wird noch mit Strom versorgt.
Das letzte Dorf, das ich besuchte, heißt Ruesta und es ist nicht mehr wirklich verlassen im eigentlichen Sinne: Hier kehrt zwischen den Ruinen einer Kirche, eines Castillo und verschiedener Häuser wieder Leben ein, bis hin zu einer Herberge für Menschen, die dem Jakobsweg folgend nach Santiago de Compostela unterwegs sind. Dort gönnte ich mir schließlich in der Bar noch einen Cafe Americano, bevor mein Kompass wieder Richtung Pyrenäen ausschlug.
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